Essen und Psyche

Was fressen wir in uns hinein, wonach verzehren wir uns, was schlägt uns auf den Magen, wonach hungert und dürstet es uns, was haben wir satt? Hier geht's um Ess-Störungen.
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Mrs Hudson
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Re: Essen und Psyche

Beitrag von Mrs Hudson »

OHvalen hat geschrieben: Fr 13. Aug 2021, 19:03 Mrs Hudson.... grüß doch mal Sherlock und John.... ;)
Hatte ich ganz vergessen, mit den beiden schlaf ich regelmäßig ein :lol:
Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.(Henry Ford)
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OHvalen
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Re: Essen und Psyche

Beitrag von OHvalen »

Lass mich raten - die netten Hörbücher und Hörspiele...... ich auch. Und auch Miss Marple und Mimi Rutherfurt...
:D :D :D
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Nuts about oceans
Daisy Colordott
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Re: Essen und Psyche

Beitrag von Daisy Colordott »

schneeflocke hat geschrieben: Fr 13. Aug 2021, 20:21 Eigentlich wollte ich mich aus diesem Thread komplett raushalten, weil mich diese Banalisierung der Erkrankungen triggert, aber nun muss ich auch meinen Senf dazu geben.
Ich kann Mrs. Hudson und Fruchtfliege nur beipflichten. Die psychischen Erkrankungen betreffen in verschiedenen Formen fast die gesamte Gesellschaft. Und nur weil diese nicht diagnostiziert sind, heißt es nicht, dass man sie nicht hat. Alkoholismus ist übrigens auch eine schwere Erkrankung, genauso wie eine Depression, Essstörungen oder zahlreiche psychosomatische Erkrankungen. Leider werden diese Erkrankungen oft tabuisiert und dann kommt ein bisschen Disziplin und Halte-Durch-Parolen ins Spiel. Wenn jemand einen Bandscheibenvorfall hat oder Arthrose, da haben alle Verständnis. Bei der Psyche kommt eben die Unsicherheit, weil es nicht greifbar ist, weil es vielleicht Angst macht, weil es in der Gesellschaft immer noch ein Tabu ist, weil man den Knacks weg hat. Das ist so schade, denn durch meine eigenen Erfahrungen sehe ich so viele Menschen, die massive Probleme haben, aber es gar nicht wissen. Die Verdrängungsmechanismen, Projektion und andere Mechanismen funktionieren wunderbar und so sind natürlich alle anderen betroffen, nur sie nicht. So dachte ich früher übrigens auch. Vor ein Paar Jahren hätte ich wohl Mrs. Hudson und Fruchfliege nicht verstanden, warum die sich „so anstellen“ und nicht „einfach mal „ihre Gewohnheiten sein lassen.

Natürlich gibt es auch Gewohnheiten. Ich putze mir jeden Morgen die Zähne und habe eine bestimmte Reihenfolge, wenn ich Geschirr spüle, ich kaufe immer ganz bestimmte Sorte Eier (ersetzbar durch zig andere Produkte) etc. Es gibt auch schlechte Angewohnheiten wie ....keine Ahnung, fällt mir gerade nichts ein. Und natürlich sind wir, was Essen angeht, geprägt von unseren Elternhaus, Kindergarten, Schule, whatever...Und man kann sicherlich auch gewisse Muster durchbrechen und diese relativ easy ändern, sofern die Verflochtungen mit tieferen Emotionen nicht zu stark sind.
Allerdings haben wir in diesem Forum fast nur Menschen, die stark adipös sind oder es waren und ich lehne mich weit aus dem Fenster und behaupte, dass man nicht stark adipös wird, nur weil man ein Paar schlechte Angewohnheiten hat. Da hat man vielleicht ein Wohlfühlbäuchlein, aber kein starkes Übergewicht.
Die meisten hier reißen sich ihr ganzes Leben zusammen und disziplinieren sich selbst immer wieder. Und ? Landen immer wieder hier. Die Ursachen, die meist emotionaler Natur sind, müssen ernst genommen werden. Das heißt nicht, dass man Erkrankungen, egal welcher Art, als Ausrede nutzen soll. Allerdings ist mir hier bisher auch niemand begegnet, der das tut. Viele haben eher den Leidensdruck und viele schämen sich, weil sie es nicht schaffen. Aber schämen sollte sich niemand, denn die Gründe sind sehr ernst und es klingt wie eine Faust ins Gesicht, wenn man eben liest , dass man die Gewohnheiten ändern soll oder seinen Konsum.

Ich weiß, dass weder Masche noch OHvalen es böse meinen, also alles gut. Ihr habt auch eure Gründe dafür, das verstehe ich. Ich habe gelernt mich offen zu artikulieren und mich für mich nicht zu schämen, aber es gibt andere, die das vielleicht nicht können. Die hören ihr Leben lang: bewege dich mehr, iss weniger und dann nimmst du ab. So einfach ist es nicht, wenn Essen nicht das Problem ist.

Ach und apropos Psychopharmaka-Keule: das muss nicht zwangsläufig sein. Ich hatte beispielsweise noch nie irgendwelche Medikamente genommen, mein Fokus lag und liegt auf der Psychotherapie (Verhaltens-, Gesprächs-, Tiefenpsychologische Therapie etc.). Über Medikamente hatte ich viel mit meiner Mutter gesprochen (sie ist Fachärztin für Psychiatrie), weil mein Arzt mir dazu anfangs auch geraten hat. Aber ich wollte es allein versuchen und meine Mama sagte, ich solle es so machen, wie es sich am besten für mich anfühlt. Ich komme gut auch ohne Medis klar. Aber es gibt Menschen, da ist es einfach notwendig. Durch meine Mutter habe ich natürlich auch einen ganz andere Blick auf die psychischen Erkrankungen. Früher war ich nur genervt, wenn meine Mutter mal wieder was von Psychosomatik, Sucht oder ähnlichen gesprochen hat, auch im Zusammenhang mit meinem Gewicht, aber mittlerweile muss ich zugeben, sie hatte immer zu 100% Recht. Nur wollte ich es damals nicht wissen. Meine Strategie war eher hungern, exzessiv Sport treiben und sich noch mehr und noch mehr disziplinieren und treiben.

So, nun habe ich genug Senf dazu gegeben. Zum Abschluss nur noch eins: jeder hat seinen Päckchen zu tragen im Leben. Ich würde mir wünschen, dass jeder mit seinen Sorgen ernst genommen wird. Wir sind alle unterschiedlich und haben subjektive Empfindungen. Und Wäre, Zuwendung und Verständnis helfen immer, weil wir nun mal emotionale Wesen sind und alles damit zusammenhängt ;)
Gut, ich habe jetzt nach etwas Pause den Thread auf einmal gelesen und danke Schneeflocke für die Worte.

Ich finde, da gibts ziemlich viel zu sagen. Ja, Offenheit ist gut und auch Kritik. Dazu ist der Austausch ja da. Für mich gibts da feine Unterschiede und zu pauschalisieren bringt nicht viel oder Vorwürfe bzw. Vorurteile.

Ich finde es gibt einen Unterschied zwischen Gewohnheiten und Dingen, die man regelmäßig macht.

Eine Gewohnheit kann man leicht ändern und das ist wie eine Übung, die man macht. Erfahrungsgemäß. Keine Ahnung, aber zu spät zu Bett gehen ist meiner Meinung nach eine Gewohnheit. Man wird am nächsten Tag Augenringe haben oder unkonzentriert sein und wenn man keinen triftigen Grund hat, um aufzubleiben, sondern in einem Buch oder dem Fernseher hängen bleibt, dann kann man es jederzeit wieder lassen. Vielleicht nervt es kurz, aber das geht.

Wenn ich allerdings ein bestimmtes Gefühl brauche und nur auf einen Knopf drücken muss, um das zu bekommen, dann lässt man das nicht so einfach los. dann gibt's aber auch ein Verlangen, das dahinter steckt und da wären wir bei der Psychologie.

Nach der der Definition von Psychologie sind auch Motive und Verhaltensweisen gemeint. Das bedeutet, hinter JEDER Handlung versteckt sich ein psychologisches Motiv. Psyche ist aber nicht gleich Problem. Es ist nicht übel, wenn man weiß. was seine Motive hinter Handlungen sind. Das ist sinnvoll herauszufinden, da die Psyche nunmal ein Teil von uns ist.

Sucht ist meiner Meinung nach immer etwas Psychisches und so zu definieren, dass man mit etwas, das einem schadet, nicht einfach aufhören kann, im Gegensatz zu einer Gewohnheit. Als Beispiel, wenn jemand so viel trinkt, dass er regelmäßig kotzt, aber ohne Alk keine gute Laune hat, ist es Sucht. Wenn jemand so viel Computer spielt, dass er nicht mehr zur Arbeit gehen kann, ist es Sucht und das kann man auf jeden Bereich ausdehnen. Und ich meine, auch Sport kann zur Sucht werden und vermutlich ziemlich viel. Manchmal ersetzen Personen auch eine Sucht durch die andere. So mancher Raucher wird dann dick und so weiter.

Und natürlich ist Essen auch eine Gewohnheit. Wenn man nie gewöhnt ist, Rosinen zu essen und sie nicht mag, dann kann man sich das angewöhnen und irgendwann fehlen sie einem dann im Strudel. Also ja, klar gehört zum Abnehmen im Normalfall die veränderte Ernährungsaufnahme dazu.
Da kommt man nicht drum rum und man steht sich gerne selbst im Weg, wenn man was ändern mag und entwickelt vielleicht sogar Strategien, um sich das zu erlauben.
Trotzdem, egal, was man isst, es gibt immer einen Grund (auch wenn man ihn nicht bewusst da hat). Nicht unbedingt eine psychische Störung, aber ein Motiv und das kann sein, dass es Spaß macht, Langeweile vertreibt, entspannt (es muss ja nichts Schlimmes sein), .... . Zum Thema Genuss. Ja, man kann schon mehr essen, weil man das genießt. Wenn man allerdings nicht mehr aufhören kann, hat man ein Problem und daran erkennt man das meiner Meinung nach gut. Kann ich einfach mal bestimmtes Zeugs weglassen oder fahre ich dann um Mitternacht zur Tankstelle? Beeinträchtigt das Essen mein Leben negativ? Sobald das gegeben ist, dann ist es einfach mehr als genussvolles Speisen. Wenn man zum Beispiel raucht, damit man in der Arbeit kurz zur Ruhe kommt und sonst nie, dann hat man das Motiv Entspannung und schafft es dann vielleicht darüber, das Problem zu lösen. Wenn man einfach "gerne" isst, weil´s einem schmeckt, dann hat man das Gewicht unter Kontrolle und wenn nicht, dann sollte man nochmals die Motive hinterfragen. Beides gleichzeitig geht einfach nicht.

Und ja, eine gewisse Disziplin gehört zum Abnehmen auch dazu. Allerdings ist jemand, der nicht abnimmt, nicht unbedingt undiszipliniert. Das ist ein Vorurteil. Ein guter Freund von mir hat (und er ist beneidenswert diszipliniert) innerhalb eines Jahres 60 kg abgenommen. Im nächsten Jahr dann nochmals 10 und dann hat er es fast 2 Jahre gehalten. er war normalgewichtig. Mit viel Sport, einer Ernährungsumstellung, am Abend nicht essen, kein Zucker, und eigentlich nicht ungesund. Sogar mit ärztlicher Begleitung. Im letzten Jahr hat er wieder 20kg zugenommen und man sieht, wie es mehr wird. Und sowas hat der schon öfter hinter sich. von 120kg runter auf 90, ein bisschen halten und wieder rauf, aber dann auf 130. Die Disziplin wäre eh da, nur dann kommt ein Trigger und zack, aus ist es. Nachdem ihn keiner verzaubert haben wird und es keinen körperlichen Grund gibt, ist es wohl psychisch. Zuerst die Motivation für die Gewichtsabnahme (das waren gesundheitliche Schwierigkeiten) und dann der Trigger. Wenn Essen eine reine Gewohnheit gewesen wäre, dann hätte er es ja im Griff gehabt und das sogar für einen längeren Zeitraum und unter Kontrolle bringen können.

Abschließend möchte ich noch zu dem Unterschied zwischen einer psychischen Störung und einer Verstimmung sagen. Ich bleibe aber beim Bsp. Depression.
Ja, es gibt genug Dinge, mit denen man beispielsweise eine Depression begünstigen bzw. eindämmen und behandeln kann. Genauso verwechselt man gerne mal fälschlicherweise Depression mit einer schlechten Stimmung. Sowie man falsch Grippe zu einem grippalen Infekt sagt, Mobbing zu einem nicht netten Menschen. Genauso wenig ist eine Depression per se eine Laune oder eine Ausrede. Es ist eine Erkrankung. Aber ja, meine Oma sagt auch, dass Asthma Einbildung ist, denn sie selbst hatte nie Probleme damit.
Klar kann man sich auf einer Diagnose ausruhen oder Ausreden finden. Ich möchte aber bitte klar stellen, dass eine Depression eine Erkrankung ist, die einen mitunter komplett lahm legt. Man kann nicht aufstehen, um die Waschmaschine zu leeren. Nicht weil man nicht will (oder nicht diszipliniert ist), sondern weil man nicht kann und anders als ein gebrochenes Bein, das nach ein paar Monaten wieder heilt, hat man die Veranlagung ein Leben lang. Auch, wenn man sie wieder im Griff hat. So etwas wird ärztlich diagnostiziert.

Also man sollte in beide Richtungen vorsichtig sein. Wenn man immer (und ich formuliere das jetzt absolut überspitzt) eine schlechte, depressive Verstimmung bekommt, ehe man etwas macht, das man nicht mag, dann sollte man sich überlegen, ob man sich nicht vielleicht etwas vormacht. Z.B.: man ist immer zu müde, den Müll rauszutragen, aber ist dann 5 Minuten später bestens gelaunt, um Karaoke zu singen und danach wieder zu müde für den Abwasch. Das ist dann, wenn man auch einen Nutzen aus einer Krankheit hat. Wie Migräne, wenn die anstrengenden Freunde vom Partner zum Essen einladen und man tatsächlich immer Migräne bekommt.
Nur kann man eben auch umgekehrt nicht sagen, dass eine Depression Einbildung ist.
Liebe Grüße
Daisy Colordott

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Benutzer 1255 wurde gelöscht

Re: Essen und Psyche

Beitrag von Benutzer 1255 wurde gelöscht »

Daisy Colordott hat geschrieben: Mo 23. Aug 2021, 00:27
(...)Für mich gibts da feine Unterschiede und zu pauschalisieren bringt nicht viel oder Vorwürfe bzw. Vorurteile. (...)

Allerdings ist jemand, der nicht abnimmt, nicht unbedingt undiszipliniert. Das ist ein Vorurteil. Ein guter Freund von mir hat (...)60 kg abgenommen. (...) Sogar mit ärztlicher Begleitung. Im letzten Jahr hat er wieder 20kg zugenommen und man sieht, wie es mehr wird. Und sowas hat der schon öfter hinter sich. (...) Wenn Essen eine reine Gewohnheit gewesen wäre, dann hätte er es ja im Griff gehabt und das sogar für einen längeren Zeitraum und unter Kontrolle bringen können.
Ich bringe in vergleichbaren Zusammenhängen gern diesen Vergleich. Niemand würde zu Querschnittgelähmten sagen: Wir haben Dich jetzt lange genug im Rollstuhl umhergeschoben, jetzt wird's Zeit, dass Du das wieder alleine machst. Oder Dialysepflichtigen : Wann meinst Du denn, dass eine Niere das wieder alleine machen will? Bei Problemen aber, die mit "Verhalten" in weitestem Sinn zu tun haben, da scheint bei manchen die Versuchung groß zu sein, sich eine Meinung zu gönnen...
Abschließend möchte ich noch zu dem Unterschied zwischen einer psychischen Störung und einer Verstimmung sagen. (...) Genauso verwechselt man gerne mal fälschlicherweise Depression mit einer schlechten Stimmung. (...) Genauso wenig ist eine Depression per se eine Laune oder eine Ausrede. Es ist eine Erkrankung. (...) Klar kann man sich auf einer Diagnose ausruhen oder Ausreden finden. (...)So etwas wird ärztlich diagnostiziert.

Also man sollte in beide Richtungen vorsichtig sein. (...)
Ich habe ja beschlossen, mich selber wirklich zu befragen, inwiefern ich eine Störung habe und inwiefern nicht. Nach über 2 Jahrzehnten Arbeit in der Psychiatrie denke ich inzwischen, eine "Diagnose" ist alles andere als einfach und hat ihre Regeln und Hintergründe, vor allem aber dass eine Diagnosestellung oder Diagnostik letztlich nur einen Zweck hat: klar zu stellen, was zu tun ist. Wenn die Diagnostik nicht dazu führt, eine Perspektive wenigstens zu formulieren, dann ist sie ein Stempel und keine Diagnose.

In meinem Fall bin ich mir noch nicht schlüssig und bleibe dabei, es mit IF usw. im Eigenmanagement unterstützt von meinem Freundeskreis und meiner Frau und so weiter zu betreiben. Aber ich habe meine Eckdaten formuliert, und wenn es diesesmal nicht wirklich zu einem positiven dauerhaften Ergebnis führt (zufriedenes Normalgewicht), dann stelle ich mir die Diagnose, die mich zum Aufsuchen ärztlicher oder psychologischer oder psychiatrischer egal welcher Hilfe bringt. (Ok nicht ganz so egal, Astrologie hilft bei mir nicht, mein Deszendent stellt sich da quer.) Und das in absehbarer Zeit, denn ich habe in diesem Leben einfach keine 10 Jahre zum Experimentieren mehr. Vielleicht stecken bei mir ja doch "Dinge" dahinter, denen ich mich alleine nicht stellen kann, und die virulent werden, wenn ich weiter mein Eß- und Bewegungsverhalten ändere.

Es ist keine Schande, auf professionelle Hilfe angewiesen zu sein. Wenn Dein Freund es mit ärztlicher Begleitung geschafft hat, dann schmälert das sein Verdienst ja überhaupt nicht, im Gegenteil! Vielleicht braucht er die ärztliche Begleitung oder noch mehr ja wieder, vielleicht ich auch, und ob da eine Störung oder Diagnose vorliegt, ist wie gesagt meiner Meinung nach nur insofern interessant, als wir darüber erfahren, was zu tun ist und wie es möglich sein könnte. Auf jeden Fall wird ihm der Verlauf mehr zu schaffen machen als allen gutwillien Kommentatoren zusammengenommen ...

Wir sind ja doch alle verschieden. In meinem Fall sind da vor Allem die 3 großen V :
  • Verharmlosen
  • Vermeiden
  • Verleugnen
Wenn ich nur alles so gut könnte wie dies hier...jedenfalls setze ich da mal den Dosenöffner an...

Ich könnt mir denken, dass unsere Auffassungen da gar nicht so weit auseinander liegen...

Gruß vom Walter
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Fruchtfliege
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Re: Essen und Psyche

Beitrag von Fruchtfliege »

Die Diagnose als Schlüssel zum Erfolg zu sehen, kann ich durchaus unterschreiben. Allerdings gibt es auch Diagnosen, die nicht geheilt werden können. Dem Dialysepatienten wächst keine neue Niere (auch wenn Star Trek das mal anders versprach), und der Gelähmte wird nicht wieder laufen können.

Wenn der Rollstuhlfahrer nun sagt, dass er nicht einfach so in den Bus steigen kann, sondern dafür die Rampe benötigt, dann ist das ja kein Ausruhen auf einer Diagnose, sondern geht es einfach nicht.

Nun gibt es auch Menschen, die nach einem schweren Unfall zum Beispiel im Rollstuhl sitzen, die dann nach langer Zeit intensiver Anstrengung und Arbeit wieder laufen lernen können. Andere mit ähnlichen Verletzungen können es nicht. Wer will nun in der Lage sein, ohne die Krankengeschichte wirklich zu kennen und ohne Arzt zu sein, beurteilen, wer es schaffen kann und wer nicht?

Bei den psychischen Erkrankungen ist es das Selbe. Nur da liegt der Irrtum darin, dass man eine psychische Erkrankung nur alleine mit Willenskraft und Disziplin besiegen kann. Stimmt natürlich nicht. Aber die Tatsache, dass man Willenskraft und Disziplin zur Heilung benötigt, bringt die Allgemeinheit wieder dahin zu sagen: „Der hat sich angestrengt, dann geht das schon!“ Dass aber neben Willenskraft und Disziplin noch viel mehr notwendig war, nämlich eine Heilbehandlung (Therapie), das wird gerne mal ignoriert.

Was eine schlechte Gewohnheit ist und was doch eher behandlungsbedürftig ist, dass kann und sollte ein Außenstehender nicht beurteilen. Zwischen „Geh raus, denn wenn Dir die Sonne mal ins Gesicht scheint, dann wird Dir das gegen die Depressionen helfen.“ und „Sieh zu, dass Du mal mit dem Hintern vor die Tür kommst und lass Dich nicht so gehen.“ liegt nur ein ganz schmaler, aber sehr wichtiger Grat, und der heißt Verständnis.

Zur Einbildung: Ich finde, es ist immer mal einen Blick nach innen (bei sich selbst) wert, wenn man krank ist, wie zum Beispiel bei einer Erkältung. Einbildung spielt oft eine interessante Rolle bei solchen Dingen. Ich hatte tatsächlich schon eine psychosomatische Erkältung. Da stand ich vor einer schweren Entscheidung und war so heftig krank, dass ich eigentlich im Bett bleiben wollte. Als ich mich dann aber dazu entschlossen habe, jetzt loszugehen und meine Entscheidung durchzuziehen, wurde ich gesund und zwar während ich mir meine Schuhe gebunden habe. Das war eine sehr interessante Erfahrung. Heute gucke ich immer erst mal innen nach, was da wohl gerade schief liegt.

Walter, wenn Du Dich selbst immer wieder befragst, tust Du genau das, was Du zur „Genesung“ in Richtung zufriedenem Normalgewicht brauchst.
Liebe Grüße
Fruchti

:greetings-wavingblue:


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sigrada
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Re: Essen und Psyche

Beitrag von sigrada »

Die Bilanz aus meinem Übergewicht - weise ich unbedingt dem Frustessen zu. Nur durch ein "Völlegefühl" kam ich innerlich zur Ruhe, Ärger, Wut und schlimme Enttäuschungen konnte ich so herunterschlucken - mit einem Belohnungsessen - dass Wort "Belohnung" trifft wohl den Nagel auf den Kopf....
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LlenaDeVida
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Re: Essen und Psyche

Beitrag von LlenaDeVida »

Danke für diesen Thread. Ich schließe mich im Wesentlichen Schneeflocke an.

Ich habe eine schwere psychische Erkrankung vor einigen Jahren überwunden. Bei mir korreliert meine seelische Verfassung sehr stark mit meinem Essverhalten, und entsprechend auch mit meinem Gewicht. Deshalb ist eine Gewichtszunahme für mich immer auch ein deutliches Zeichen, dass ich auf seelischer Ebene noch mal hinschauen und nachjustieren muss. Das ist auch derzeit der Fall, ich habe ja von den 30 abgenommenen Kilos in jüngster Zeit wieder die Hälfte zurückerobert. Allerdings würde ich mich heute anders als früher nicht mehr als psychisch krank bezeichnen, wohl aber als psychisch belastet. Es gab viele krisenhafte Ereignisse in den letzten Jahren, die ich verarbeiten musste, und irgendwann bin ich dadurch an meine Grenzen gekommen und wieder in alte Muster verfallen. Früher war ich dagegen durchaus essgestört. Ich habe regelmäßig eine Verschiebung schädlicher Bewältigungsstrategien bei mir beobachten können: Habe ich versucht, weniger zu essen, habe ich dafür mehr geraucht oder mich häufiger selbst verletzt, und umgekehrt. Essen war für mich eine Strategie der Selbstregulation wie das Rauchen und das Schneiden, und das ist es immer noch mit dem Unterschied, dass ich heute eine breitere Palette an (gesunden) Maßnahmen beherrsche, die ich zur Selbstregulation einsetzen kann. Essen als Selbstregulation hat mit Genuss nichts mehr zu tun, genauso wenig wie ich in den letzten Jahren als Raucher die Zigaretten genossen habe - das war nur noch Sucht.

Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass man - gemäß meiner Definition von Genuss - zu seinem Wohlfühlgewicht kommen kann, wenn man sein Essen konsequent genießt. Vorausgesetzt natürlich, dass keine Grunderkrankungen vorliegen, die das Gewicht beeinflussen. Genuss hört für mich da auf, wo ich (weiter) esse, obwohl mein Körper diese Nahrung nicht mehr benötigt. Ab dem Punkt befriedige ich irgendein anderes Bedürfnis, aber nicht das, meinem Körper das zu geben, was er benötigt. In Phasen, in denen ich ein gutes Körpergefühl habe und sehr achtsam mit mir umgehe, kann ich das leckerste Essen ab dem Punkt problemlos stehen lassen, wo mein Körper mir signalisiert: Stopp, ich habe genug. Fühle ich mich gestresst, seelisch bedürftig oder achte ich nicht ausreichend auf die Signale meines Körpers, verpasse ich diesen Punkt und ich nehme zu. Dann bin ich mit meiner Aufmerksamkeit aber auch nicht mehr bei meinem Körper und genieße entsprechend auch nicht mehr, weil ich den Geschmack nur noch am Rande wahrnehme. Oftmals ertappe ich mich in diesen Situationen dabei, beim aktuellen Bissen schon gedanklich beim nächsten zu sein, einhergehend mit einem Gefühl von irrationaler Angst, nicht genug zu bekommen. Genauer betrachtet, sind es ganz andere Dinge, von denen ich nicht genug bekommen habe, die ich aber auch nicht mehr bekommen werde und die ich dann mit Essen kompensiere. Sowas wie bedingungslose Liebe, Schutz, Geborgenheit in der Form, wie sie einem Kind zuteil wird oder werden sollte. Insofern ist für mich übermäßiges Essen der zum Scheitern verurteilte Versuch, einen Mangel auf einer ganz anderen Ebene auszugleichen. In meinen Augen also durchaus psychischer Natur. Inwiefern das nun krankhaft ist - schwere Frage. Wo hört Gesundheit auf und wo fängt Krankheit an? Da gibt es keine klar definierte, objektive Grenze. Vielleicht kann man es am Leidensdruck festmachen, ob man sich schon im Bereich des Pathologischen bewegt. Aber so oder so sollte man seelische Aspekte ernst nehmen, bei sich und bei anderen, und nicht als Schwäche oder Befindlichkeit abtun.

Übergewicht ist meines Erachtens also wesentlich komplexer als dass man sagen könnte, man müsse nur mal konsequent ein paar Gewohnheiten ändern und dann purzeln schon die Kilos. Meine Mutter (immer schlank gewesen) vertritt diese Ansicht, und entsprechend lässt sie sich immer wieder verächtlich über übergewichtige Menschen aus, weil die sich ja "so gehen lassen". So entstehen Vorurteile und Verurteilungen in der Form von "selbst Schuld", das halte ich für gefährlich. Viele Übergewichtige übernehmen diese Ansicht, dann kommt es zu Selbststigmatisierung mit entsprechenden Selbstverurteilungen und Versagensgefühlen. Ich dagegen glaube, dass man nicht umhin kommt, sich mit seinen seelischen Beweggründen auseinanderzusetzen, wenn man dauerhaft auf gesunde Weise abnehmen und das Gewicht halten möchte. Das ist ja auch nichts Schlimmes (ich persönlich finde es sogar sehr spannend :D), nur eben leider so stark stigmatisiert, wie es hier im Thread ja bereits schon anklang.

LG Alex
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Fruchtfliege
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Re: Essen und Psyche

Beitrag von Fruchtfliege »

Liebe Alex,

vielen Dank für diesen offenen und tollen Beitrag. Ich kann mich da in einige Aspekten wirklich wiederfinden.

Das Fehlen der damaligen bedingungslosen Liebe als Kind ist etwas, das auch bei mir sehr deutliche Spuren hinterlassen hat. Ob es mein Suchtverhalten beeinflusst hat, weiß ich nicht genau, ich gehe aber davon aus. Beim Essen ist bei mir ein sehr entscheidender Faktor wie in meiner Lebensgeschichte der Umgang von Männern mit mir war. Ich denke, ich habe mich davor schützen wollen, indem ich mich "unerotisch" gemacht habe.

Nun lebe ich in einer Partnerschaft, in der mittlerweile meine Grenzen akzeptiert und nicht mehr übertreten werden. So ist es jetzt so, dass ich beginne, mich zum ersten Mal im Leben wirklich als Frau zu fühlen und mich das auch zu trauen. Ich kaufe meine Kleidung zum ersten Mal in der Damenabteilung.

Hinzu kommt, dass ich mittlerweile recht gut in der Lage bin, mich abzugrenzen. Ich kann mich also aus eigener Kraft schützen. Ich denke, dass es deshalb mit der Abnahme klappt. Nur war es nicht ganz einfach herauszufinden, dass dort der Hase im Pfeffer liegt.

Für mich endet Genuss nicht unbedingt an den Punkt, an dem mein Körper satt ist. Der Konsum von Genussmutteln ist ja etwas, was der Körper eigentlich nicht braucht, was aber Spaß macht. Diese Freude möchte ich mir beim Essen erhalten, aber so, dass ich mich nicht schädige.
Liebe Grüße
Fruchti

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Benutzer 3408 wurde gelöscht

Re: Essen und Psyche

Beitrag von Benutzer 3408 wurde gelöscht »

sigrada hat geschrieben: Di 2. Nov 2021, 12:24 Die Bilanz aus meinem Übergewicht - weise ich unbedingt dem Frustessen zu. Nur durch ein "Völlegefühl" kam ich innerlich zur Ruhe, Ärger, Wut und schlimme Enttäuschungen konnte ich so herunterschlucken - mit einem Belohnungsessen - dass Wort "Belohnung" trifft wohl den Nagel auf den Kopf....


du hast das gut ausgedrückt, bei mir ist es leider ganz genauso
Benutzer 4813 wurde gelöscht

Re: Essen und Psyche

Beitrag von Benutzer 4813 wurde gelöscht »

Zuerst habe ich einen kompletten Zuckerentzug gemacht mit dem Ergebnis, daß mich Süßes nicht mehr anmacht.

Dann habe ich meine Geschmacksknospen auf (meiner Meinung nach) gesunde Lebensmittel umgestellt. War auch nicht so schwer: einmal geschehen schmeckt ein Salat besser als Spaghetti Carbonara

doch schließlich mußte ich, voller Entsetzen, feststellen, daß ich esse, statt zu Saufen oder mich zu ritzen.
Wenn etwas wirklich Schlimm ist und meine Psyche fast durchdreht esse ich Pizza.

Dazu muß ich erwähnen, daß ich weder Getreide noch Milchprodukte vertrage und nach der Pizza geht es mir wirklich Mies.
Am Kühli klebt ein Schild: "Pizza verursacht starke Schmerzen" doch das- und nichts auf der Welt- kann mich davon abhalten, solch einen Teigfladen zu ordern, wenn es wieder so weit ist.

Nach dieser Erkenntnis war es dann nicht mehr schwer herauszufinden, warum ich mich, schon früher, fett gegessen habe. Ich bin ein echter Frustesser und hoffe, auch meinen letzten Feind, die Pizza, besiegen zu können.

Irgendwie fürchte ich schon, daß sehr übermäßiges Essen, auch bei Anderen, etwas mit der Psyche zu tun hat. Es KANN doch NICHTS so gut schmecken !
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