Eigentlich wollte ich mich aus diesem Thread komplett raushalten, weil mich diese Banalisierung der Erkrankungen triggert, aber nun muss ich auch meinen Senf dazu geben.
Ich kann Mrs. Hudson und Fruchtfliege nur beipflichten. Die psychischen Erkrankungen betreffen in verschiedenen Formen fast die gesamte Gesellschaft. Und nur weil diese nicht diagnostiziert sind, heißt es nicht, dass man sie nicht hat. Alkoholismus ist übrigens auch eine schwere Erkrankung, genauso wie eine Depression, Essstörungen oder zahlreiche psychosomatische Erkrankungen. Leider werden diese Erkrankungen oft tabuisiert und dann kommt ein bisschen Disziplin und Halte-Durch-Parolen ins Spiel. Wenn jemand einen Bandscheibenvorfall hat oder Arthrose, da haben alle Verständnis. Bei der Psyche kommt eben die Unsicherheit, weil es nicht greifbar ist, weil es vielleicht Angst macht, weil es in der Gesellschaft immer noch ein Tabu ist, weil man den Knacks weg hat. Das ist so schade, denn durch meine eigenen Erfahrungen sehe ich so viele Menschen, die massive Probleme haben, aber es gar nicht wissen. Die Verdrängungsmechanismen, Projektion und andere Mechanismen funktionieren wunderbar und so sind natürlich alle anderen betroffen, nur sie nicht. So dachte ich früher übrigens auch. Vor ein Paar Jahren hätte ich wohl Mrs. Hudson und Fruchfliege nicht verstanden, warum die sich „so anstellen“ und nicht „einfach mal „ihre Gewohnheiten sein lassen.
Natürlich gibt es auch Gewohnheiten. Ich putze mir jeden Morgen die Zähne und habe eine bestimmte Reihenfolge, wenn ich Geschirr spüle, ich kaufe immer ganz bestimmte Sorte Eier (ersetzbar durch zig andere Produkte) etc. Es gibt auch schlechte Angewohnheiten wie ....keine Ahnung, fällt mir gerade nichts ein. Und natürlich sind wir, was Essen angeht, geprägt von unseren Elternhaus, Kindergarten, Schule, whatever...Und man kann sicherlich auch gewisse Muster durchbrechen und diese relativ easy ändern, sofern die Verflochtungen mit tieferen Emotionen nicht zu stark sind.
Allerdings haben wir in diesem Forum fast nur Menschen, die stark adipös sind oder es waren und ich lehne mich weit aus dem Fenster und behaupte, dass man nicht stark adipös wird, nur weil man ein Paar schlechte Angewohnheiten hat. Da hat man vielleicht ein Wohlfühlbäuchlein, aber kein starkes Übergewicht.
Die meisten hier reißen sich ihr ganzes Leben zusammen und disziplinieren sich selbst immer wieder. Und ? Landen immer wieder hier. Die Ursachen, die meist emotionaler Natur sind, müssen ernst genommen werden. Das heißt nicht, dass man Erkrankungen, egal welcher Art, als Ausrede nutzen soll. Allerdings ist mir hier bisher auch niemand begegnet, der das tut. Viele haben eher den Leidensdruck und viele schämen sich, weil sie es nicht schaffen. Aber schämen sollte sich niemand, denn die Gründe sind sehr ernst und es klingt wie eine Faust ins Gesicht, wenn man eben liest , dass man die Gewohnheiten ändern soll oder seinen Konsum.
Ich weiß, dass weder Masche noch OHvalen es böse meinen, also alles gut. Ihr habt auch eure Gründe dafür, das verstehe ich. Ich habe gelernt mich offen zu artikulieren und mich für mich nicht zu schämen, aber es gibt andere, die das vielleicht nicht können. Die hören ihr Leben lang: bewege dich mehr, iss weniger und dann nimmst du ab. So einfach ist es nicht, wenn Essen nicht das Problem ist.
Ach und apropos Psychopharmaka-Keule: das muss nicht zwangsläufig sein. Ich hatte beispielsweise noch nie irgendwelche Medikamente genommen, mein Fokus lag und liegt auf der Psychotherapie (Verhaltens-, Gesprächs-, Tiefenpsychologische Therapie etc.). Über Medikamente hatte ich viel mit meiner Mutter gesprochen (sie ist Fachärztin für Psychiatrie), weil mein Arzt mir dazu anfangs auch geraten hat. Aber ich wollte es allein versuchen und meine Mama sagte, ich solle es so machen, wie es sich am besten für mich anfühlt. Ich komme gut auch ohne Medis klar. Aber es gibt Menschen, da ist es einfach notwendig. Durch meine Mutter habe ich natürlich auch einen ganz andere Blick auf die psychischen Erkrankungen. Früher war ich nur genervt, wenn meine Mutter mal wieder was von Psychosomatik, Sucht oder ähnlichen gesprochen hat, auch im Zusammenhang mit meinem Gewicht, aber mittlerweile muss ich zugeben, sie hatte immer zu 100% Recht. Nur wollte ich es damals nicht wissen. Meine Strategie war eher hungern, exzessiv Sport treiben und sich noch mehr und noch mehr disziplinieren und treiben.
So, nun habe ich genug Senf dazu gegeben. Zum Abschluss nur noch eins: jeder hat seinen Päckchen zu tragen im Leben. Ich würde mir wünschen, dass jeder mit seinen Sorgen ernst genommen wird. Wir sind alle unterschiedlich und haben subjektive Empfindungen. Und Wäre, Zuwendung und Verständnis helfen immer, weil wir nun mal emotionale Wesen sind und alles damit zusammenhängt
